In meinem Februarblog hatte ich bereits erwähnt, dass bei mir eine Grönlandreise bevorstehen würde.
Davon habe ich schon viele Jahre geträumt. Zugegebenermaßen kann ich gar nicht so recht erklären, woher dieser Wunsch ursprünglich kam. Bestimmt war er auch von einer romantischen Vorstellung von der Landschaft, der Kultur und dem Leben der Inuit getragen.
Der Traum umfasste natürlich zum einen, die sicher beeindruckende Schneelandschaft Grönlands mitsamt der Gletscher zu bestaunen, aber auch ganz konkrete Vorhaben wie Snowmobiltouren, Inlandeiswanderungen, Hundeschlittenfahrten oder auch eine Übernachtung in einem ursprünglichen Iglu.
Gesagt getan. Hinter mir lag eine sowohl beruflich wie privat anspruchsvolle Zeit und ich belohnte mich mit der Erfüllung dieses Traums. Eine Woche Ilulissat. Allein. Keine Reisebegleitung, keine Reisegruppe. Just me, myself and I.
Der Zeitpunkt, an dem dieser Traum entstanden war, lag noch vor meiner Krebsdiagnose mit sämtlichen Behandlungen und Nebenwirkungen. Ich war rundum fit, sehr sportlich und strotzte sowohl körperlich als auch mental vor Kraft. Als ich mich nun, viele Jahre später, mit der Buchung der Reise nebst aller genannten Wunscherfüllungen befasste, geriet ich ins Schwärmen und buchte ein Element nach dem anderen. Ich packte munter alle aus meiner Sicht notwendigen Habseligkeiten und Ausrüstungsgegenstände ein und zog los.
In Grönland angekommen, alle Straßen voller Eis und Schnee, Propellermaschinen mit wenig Platz, teilweise bis zu minus 27 Grad Tagestemperaturen, ließen mich rasch spüren, dass ich vor vielen Jahren fit genug gewesen sein mag. Aber jetzt? Ich stieß unmittelbar an meine körperlichen Grenzen. Mein Rucksack war gefühlt viel zu schwer. Auf dem ersten längeren Fußmarsch sackte ich teilweise bis über die Knie im Schnee ein und hatte bei der Fortbewegung mit Gleichgewichtsstörungen, meiner Polyneuropathie in den Füßen und somit einem ohnehin schon unsicheren Gang sowie Muskelkrämpfen zu kämpfen.
Es folgten die ersten mentalen Zweifel. Welcher irre Gedanke hatte mich nur getragen, mir diese Reise zuzumuten? Wie konnte ich mich und meine Kraft derart überschätzen? Und dann auch noch allein reisen? Keine über meine persönlichen Ängste und Zweifel informierte Begleitung!
Was tun? Wie sollte ich denn die Hikingtouren meistern? Das Gewicht meines Gepäcks? Die Snowmobiltour? Und: Wie bitte schön sollte ich durch die Kälteschwelle in das gefühlt viel zu kleine Iglu gelangen und vor allen Dingen morgens wieder raus? Und das mit den morgendlichen Gleichgewichtsstörungen, den erheblichen und üblichen Muskelkrämpfen und vor allen Dingen meiner Panik in engen Räumen? Sollte ich eine Woche im Zimmer bleiben und Bücher lesen? Hatte ich dafür den weiten Weg auf mich genommen?
Selbst schuld. Denken Sie jetzt sicher. Stimmt.
Was also tun?
Aufgeben kam für mich nicht in Frage. Das war noch nie mein Weg. Also legte ich mir eine neue Strategie zurecht:
Die Ziele in kleinere Schritte herunterschrauben. Also nicht die ganze Woche auf einmal und im Ganzen betrachten, sondern immer nur Tag für Tag und Unternehmung für Unternehmung. Jede Aktion, die mir gelang, ging auf mein „Klasse. Das habe ich geschafft. ICH. – Konto“. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gut sich das angefühlt hat.
Wenn ich Schwächephasen hatte, blieb ich einfach stehen. So lange wie es eben dauerte. Und genoß die Landschaft, die Eindrücke oder führte ausgiebige Gespräche mit Einheimischen oder anderen Touristen. Diese willkommenen Pausen haben mir sehr gut getan und ich konnte so nicht nur Kraft schöpfen, sondern auch noch Gedanken austauschen und Eindrücke erweitern und vertiefen. Dabei habe ich sogar tolle Kontakte geknüpft und Adressen für die nächsten Reisen ausgetauscht. War das herrlich! Übrigens führte diese Methode automatisch zu meiner Entschleunigung.
Außerdem habe ich etwas ganz Verrücktes gemacht: Ich habe fremde Menschen um Hilfe gebeten. WOW! Gar nicht schwer. Egal ob es darum ging, mir dabei zu helfen, die Spikes anzuziehen oder sonstiges. Einfach fremde Menschen ansprechen. Es war ganz leicht und hat sich gar nicht schwach angefühlt. Im Gegenteil. Und wieder ergaben sich wundervolle Gespräche und sogar die Möglichkeit, umgekehrt eine Hilfestellung zu gewähren. Auch andere Reisende haben ihre persönlichen Herausforderungen zu bewältigen.
Bei dieser Gelegenheit wurde mir auch bewusst, dass nicht nur ich in meinem eigenen Universum spezifische Sorgen, Herausforderungen und sogar Ängste hatte und in einem Tunnel gefangen war, sondern auch deutlich jüngere und fittere Reisende ihre eigenen Themen ebenfalls mitnehmen und Unterstützung benötigen können. Das hat mich streckenweise überrascht und mir den Kopf noch mal ordentlich gerade gerückt. Nicht selten dachte ich: „Wie – Du auch…?“ So haben wir uns dann zusammengeschlossen. Jede:r mit seinen eigenen Kompetenzen und gemeinsam, in Ergänzung zueinander voller Vertrauen, waren wir stark.
Und letztlich habe ich für mich eine Erkenntnis gewonnen und mitgebracht:
Es gab Momente, in denen war ich schlichtweg zu müde, um gegen meine persönlichen Grenzen anzugehen. Aus purer Müdigkeit habe ich dann den Kopf abgeschaltet und einfach gemacht. „Es“ einfach getan. Und wissen Sie was? Es lief wunderbar und reibungslos. Dabei kam mir der Gedanke, dass mein Unterbewußtsein vielleicht gar nicht wusste, dass ich ein Handicap habe und somit keine Einschränkung ersichtlich war.
Was wäre also, wenn der Körper gar nicht wüßte, was er nicht mehr kann? Wenn er aus der Erinnerung heraus einfach abliefert? „Es“ einfach macht?
Das hat tatsächlich funktioniert. Je weniger Gehör ich meinen Einschränkungen und Sorgen geschenkt habe, um so einfacher haben die Dinge funktioniert.
Ich habe meinen Körper also schlichtweg nicht darüber informiert, was nicht geht.
Na klar. Ich weiß, dass das nicht mit allen Einschränkungen funktionieren wird. Und sicher war ich dennoch etwas ungelenk und steif. Aber ich habe mir vorgenommen, öfter mal den Kopf auszuschalten, meiner Intuition zu folgen und meinen unbewussten Prozessen zu vertrauen.
Sagen Sie sich nicht, was Sie nicht können. Solange Ihre Intuition davon überzeugt ist, dass es funktionieren wird, funktioniert es auch!
Also: Was ist Ihr längst überfälliger und noch unerfüllter Traum?
Go for it,
Ihre Krisenmanagerin