Diesen Sommer habe ich mich auf eine Entdeckungsreise durch das wunderschöne, seinem Namen alle Ehre machenden, Colorado gemacht. 

Dabei bin ich die höchste asphaltierte Straße Colorados gefahren. Was für ein Erlebnis! Landschaftlich, fahrtechnisch, insgesamt. Beeindruckende Ausblicke, viele Wildtiere und eine wundervolle Eis- & Schneelandschaft.

Diese asphaltierte Straße, die mir bei der Einfahrt in den Naturpark voller stolz angepriesen wurde, war buckelig und voller Schäden. Teilweise voller derart extrem tiefer Schlaglöcher, dass man so weit an den Straßenrand ausweichen musste, dass die begründete Sorge bestand, abzustürzen. Denn – richtig – die Hänge waren nicht gesichert. Die Strecke war steil und kurvig. Immer wieder kamen einem Autos von für diese Straßenverhältnisse ungeheurer Breite entgegen. Es gab sie auch hier – die unangemessenen Raser. Aber auch die übervorsichtig, langsam fahrenden Autos. Sogar Radfahrer waren unterwegs. Ich habe diesbezüglich regelmäßig zwischen Bedauern und Bewunderung geschwankt.

Auch Herden von Bergziegen oder Murmeltiere kreuzten meinen Weg, dies gern hinter Kurven.

Sie können sich vorstellen, dass Vorsicht geboten war. Die Fahrt erzeugte wechselnde Emotionen von Begeisterung, Anstrengung, Faszination und zugegebenermaßen auch Kick.

Warum schreibe ich Ihnen das?

Auf dem von mir gefertigten Foto sehen Sie eine bevorstehende Kurve. Die Straße führt hier gewissermaßen ins Ungewisse. Klar weiß ich, dass sie weiterführen wird. Aber in welcher Form und in welchem Zustand: das wusste ich nicht. Auch nicht, was mich dahinter erwarten würde. Und ich wusste zu keinem Zeitpunkt, wann die Straße am Ziel endet.

Das erinnerte mich in dem Moment an das Leben. Wir alle haben regelmäßig mit Unwägbarkeiten zu tun. Es gibt sie: die Auf`s und Ab`s. Manchmal ist es ruckelig, manchmal fühlen wir uns nah am Abgrund ohne Sicherung. Und gleichzeitig gibt es diese begeisternden Momente. Wundervolle Begegnungen, beeindruckende Erlebnisse, Glücksmomente. Es gelingt einfach alles mit gefühlter anstrengungsloser Konzentration. Häufig überholt uns sinngemäß auch ein Radfahrer zwar mit Anstrengung, aber doch offensichtlich hoch motiviert und aus unserer Sicht mit einer Aura von Beschwingtheit. Wir sind dann möglicherweise fasziniert, mit welcher Leichtigkeit diese das Leben zu meistern scheinen.

Und wie oft wissen wir nicht, wie es weitergeht?

Wie oft fahren wir auf Sicht?

Und wie oft sehen wir vor uns eine Kurve und wissen nicht, was dahinter auf uns wartet?

Und irgendwie geht es also offensichtlich immer weiter.

Irgendwie.

Unsere Strategie dabei? Wir passen das Material an, steigen also vom Fahrrad auf das Auto um oder gehen sogar ein Stück zu Fuß. Vielleicht legen wir auch eine Verschnaufpause ein. Für bestimmte Passagen suchen wir uns Wegbegleiter, manche Streckenabschnitte gehen wir allein. Und schauen voller Stolz auf den bereits gemeisterten Weg zurück.

Und wenn wir eine Kurve vor uns sehen, nehmen einige von uns Schwung, andere halten einen Moment inne, holen tief Luft und ziehen dann weiter. Vielleicht gibt es auch einen Alternativweg, den Plan B. 

Sicher ist, dass wir auch hinter der Kurve nicht allein sein werden. Auch dort sind sie: die anderen Autofahrer, Radfahrer oder Wanderer. 

In Colorado. Dort auf der Straße. Irgendwo im Nirgendwo. Wissen Sie was? Ich war zwar allein unterwegs, aber ich fühlte mich gar nicht allein. Die meisten anderen Menschen dort haben aufeinander Rücksicht genommen und sich gegenseitig unterstützt sowie ihre Hilfe angeboten, wenn dies notwendig erschien. Niemand hat gehupt oder sich aufgeregt.

Wenn wir auch hier eine Analogie zum Leben schaffen wollen, dann würde das bedeuten, dass wir unserer Unterschiedlichkeit Rechnung tragen, dass wir akzeptieren, dass jeder Mensch einen individuellen Umgang mit Herausforderungen hat und vor allen Dingen, dass wir ein Auge aufeinander werfen, uns gegenseitig unterstützen und Rücksicht nehmen.

Jeder von uns hat eine eigene Persönlichkeit und schaut auf prägende Ereignisse im Leben zurück. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte. Wer sind wir, wenn wir diese nicht akzeptieren, respektieren und ihr wertschätzend begegnen?

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine besinnliche Vorweihnachtszeit.

Go for it, go for your goal.

Ihre Krisenmanagerin

Möglicherweise wundert Sie der Titel meines Blogartikels und Sie fragen sich: Was kann ich denn von den Amerikanern bitte lernen? Vielleicht stehen Sie auch den Amerikanern aus verschiedenen Gründen – beispielsweise aus politischen – mehr als kritisch gegenüber?

So geht es mir auch. Auch ich weiß, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und selbstverständlich sehe ich auch die vielen Contra Argumente oder auch Schattenseiten.

Seit meines ersten Austauschsemesters als Exchange Student 1998 in San Diego, habe ich sicher auch einen romantischen Blick auf viele Dinge, der mich regelmäßig dazu verleitet, trotz aller Kritikpunkte die USA zu bereisen. So auch dieses Jahr. Ich habe zwei Wochen lang das wunderschöne Colorado bereist und durfte wiederholt intensive Erlebnisse genießen und Eindrücke sammeln.

Dabei fiel mir wieder einmal auf, dass wir trotz aller Kritik auch etwas von den Amerikanern lernen können.

Dazu eine Geschichte.

Ich war allein mit einem Leihwagen im Südwesten unterwegs, als einer meiner Reifen plötzlich Luft verlor. Mitten im Canyon. Mein Handy war nicht im Internet, da mir dank meines in Europa so großartigen Handyvertrages die Möglichkeit genommen war, in den USA einen Surf & Travel Pass zu buchen. Klar hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben, aber ich wollte diese Situation als Zeichen sehen und die internetfreie Zeit genießen. Bislang war ich in den Staaten auch noch zu keinem Zeitpunkt in Schwierigkeiten gewesen, die eines internetfähigen Handys bedurft hätten.

Nun war ich also im Canyon und verlor vorne rechts aus dem Reifen Luft. In 23 Meilen war der nächste Ort: Montrose, wo ich ein Motelzimmer hatte. Mein Plan war, so lange langsam zu fahren, wie es der Reifen zulassen würde, um möglichst nah zu meinem Motel zu gelangen. Das klappte nicht ganz, aber immerhin konnte ich 7 Meilen vorher einen Walmartparkplatz ansteuern, wo ich mich insgesamt wohler fühlte, als allein im Canyon.

Kurz später war der Reifen platt. Ich versuchte, telefonischen Kontakt mit meinem Autoverleiher in Denver aufzunehmen. Ohne Erfolg. Nun stand ich da.

Ich ging in den Walmart und sprach eine Mitarbeiterin auf mein Dilemma an. Sofort holte sie eine junge Kollegin dazu, die nicht zögerte und mit ihrem Handy eine Telefonnummer für den ortsansässigen Autoverleiher heraussuchte und mir die Möglichkeit gab, dort vorzusprechen.

Ganz schön kompliziert. Es wurde die konkrete Walmartadresse aus Montrose angefragt (es gibt nur einen Walmart in Montrose und der Autoverleiher ist 2,5 Meilen entfernt). Ohne gäbe es keine Schadensanfragemöglichkeit. Ok. Wir beschafften die Adresse. Nächstes Problem: sie benötigte meine Handynummer. Ich gab sie ihr, aber es geht „natürlich“ nur eine amerikanische, keine deutsche. Woher sollte ich eine amerikanische Nummer nehmen? Nach einigem Hin- & her begriff sie das Problem und akzeptierte die deutsche Nummer. Der AAA (amerikanischer Automobilclub, vergleichbar mit dem ADAC) würde innerhalb der nächsten Stunde kommen, ich solle warten und mein Handy lautgeschaltet lassen. Das tat ich auch.

Nach 45 Minuten kam die junge Walmartmitarbeiterin zu mir und teilte mir mit, man hätte sie (nicht mich!) kontaktiert, um ihr mitzuteilen, dass der AAA es heute doch nicht mehr schaffen würde und erst morgen käme. Aha. Und nun?

Da stand ich nun. Immer noch keine Lösung, inzwischen 21 Uhr.

Kurzerhand und ohne zu zögern, bot die junge Walmartmitarbeiterin mir an, mich selbstverständlich zu meiner Unterkunft zu bringen! Großartig, oder?

Am nächsten Morgen kontaktierte ich dann wieder den Autoverleiher und schilderte das Geschehen. Dieser Mitarbeiter konnte es nicht fassen und schickte mir ganz selbstverständlich einen Kollegen, der mich abholen und mit mir gemeinsam zu meinem Auto fahren sollte. Gesagt, getan. Er wechselte den Reifen und tauschte ihn gegen ein Ersatzrad aus, fuhr mit mir zu einer Reifenwerkstatt und sorgte dafür, dass der Schaden behoben würde. Das wiederum sollte 1,5 – 2 Stunden dauern. Damit ich dort nicht so lange warten müsste, brachte er mich zurück zum Motel, wo ich in Ruhe und entspannt auf den Anruf der Werkstatt warten konnte. Als mich dieser erreichte, kam direkt der Gärtner meines Motelbesitzers auf mich zu und sagte, er würde mich rasch zu meinem Wagen bringen …

Ich fand das alles großartig und wusste nicht, wie mir geschah. Glauben Sie, dass das selbstverständlich ist? Wie wäre das in anderen Ländern gelaufen?

Insgesamt begegnen mir hier ausschließlich höfliche und zuvorkommende Amerikaner. Natürlich ist die Frage „how are you“ tendenziell oberflächlich. Aber fühlen Sie sich nicht auch willkommener, wenn Sie ein Geschäft betreten und freundlich nach Ihrem Befinden gefragt werden? Ihnen ohne Murren geholfen wird? Es ist mir egal, ob jemand das echt oder oberflächlich meint. Am Ende fühle ich mich wohler und meine Stimmung steigt.

Das ist mir deutlich lieber, als angegrummelt zu werden und mich als lästig zu fühlen, wenn ich eine Frage nach Produkten oder ähnlichem habe.

Egal, wo ich mich in Colorado aufhalte: im Motel, an der Tankstelle, im Supermarkt oder in der freien Natur – ich komme leichtgängig ins Gespräch, fühle ich gesehen und willkommen und das trägt zu einem großartigen Urlaubsempfinden bei.

Natürlich weiß ich – auch aus meiner Zeit in Kalifornien – , dass es in den USA viele Herausforderungen und Probleme gibt. Es ist erschreckend zu sehen, wie groß die Armut in vielen Landstrichen ist und mit welchen Schwierigkeiten sich viele Amerikaner auseinandersetzen müssen. Aber es ist eben auch nicht alles schlecht. Und wenn die Amerikaner sich vieles aus Deutschland für sich wünschen würden, so geht es mir umgekehrt an manchen Stellen genauso.

Ich würde mir wünschen, wir würden uns überall freundlich und respektvoll begegnen. Das wäre aus meiner Sicht ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Was denken Sie?

Go for it,

Ihre Krisenmanagerin